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Zum Thema Sitzzentrum - oder: Wer ist hier der Dirigent? Teil 1

Für mich hat jeder Dialog, der auf der Ebene der Hilfengebung mit dem Pferd stattfindet, seinen Ursprung im Sitzzentrum.

Es nimmt als erstes wahr, was im Pferd vor sich geht und was als nächstes getan werden muss, um ihm, z. B. beim Lösen einer Aufgabe, behilflich zu sein.

Mein Sitzzentrum ist eine Art Informationszentrale, über die ich einerseits meine Hilfen oder auch Impulse koordiniere und auslöse.

Andererseits kehren aber auch die Reaktionen des Pferdes auf diese Impulse zu meinem Sitzzentrum zurück. Daran kann ich erkennen, ob sie für mein Pferd verständlich und hilfreich waren, wiederholt werden oder aber neu formuliert werden müssen.

Wahrnehmen kann ich diese Rückmeldungen meines Pferdes jedoch nur, wenn ich in diesen Momenten auf „Empfang“ und nicht auf „Senden" eingestellt bin.

Ein anderes Bild zur Funktionsweise des Sitzzentrums ist der Orchesterdirigent. Er entscheidet über "wer?", „wann?“, "was?" und "wieviel?", behält den Überblick und ist der Hüter von Dynamik und Harmonie.

Im Sitzzentrum befindet sich auch der Schwerpunkt des Reiters.

Diesen eigenen Schwerpunkt gilt es so innig wie möglich mit dem des Pferdes zu verbinden. So hat unser Sitzzentrum einen grossen Einfluss auf das gemeinsame Gleichgewicht, welches wiederum das Tor zu Leichtigkeit und Losgelassenheit in der Arbeit mit dem Pferd ist.

Die deutlichste und wichtigste Information, die ich durch mein Sitzzentrum erhalte, ist der Grad des Gleichgewichtes zwischen mir und meinem Pferd.

Ein erfahrener Reiter kann in seinem Sitzzentrum schon die ersten Anzeichen eines Gleichgewichtsverlustes wahrnehmen. Dann genügt bereits eine fein zwischen Sitz, Bein und Hand abgestimmte Korrektur, um wieder zur Harmonie zu gelangen.

Ist jedoch der Faden zwischen dem Schwerpunkt des Pferdes und dem des Reiters bereits gerissen, wird es aufwändiger, das Gleichgewicht - und somit Harmonie und Leichtigkeit - wieder herzustellen.

Aber in beiden Fällen muss in gleicher Weise die Korrektur vom Sitzzentrum ausgehen.

3 Beispiele:

Über die Schulter gehen

Geht ein Pferd wegen Gleichgewichtsverlust auf dem Zirkel über die Schulter nach außen weg, ist es mit dem Korrigieren nur über das äussere Bein und/oder den äusseren Zügel so, als ob der Piccoloflötist dafür sorgen wollte, dass das Orchester wieder richtig zusammenspielt.

Viel besser wird dies doch gelingen, wenn die Korrektur vom Dirigenten, also vom Sitzzentrum, ausgeht!

Angaloppieren

Es passiert leicht, dass wir kurz vor dem Angaloppieren den Oberkörper nach vorne neigen/kippen, dadurch unser Sitzzentrum aus dem Sattel hebeln und somit "den Stecker ziehen". Der "Funkkontakt" ist unterbrochen und das Auslösen des Galoppsprunges aus der Hinterhand unmöglich.

Nun ist es aber nicht das kräftige Bein, die zackige Gerte oder der rupfende Zügel, der die Verbindung wieder herstellt, sondern hierfür braucht es einen Neuanfang mit „eingestöpseltem“ Sitzzentrum.

Schiefe korrigieren

Auch hier ist der Ausgangspunkt das Sitzzentrum.

Zusammen mit seinen Mitspielern (Bein und Hand) geht es nun darum, das Übergewicht, dass sich bei einem rechts hohlen Pferd in der linken Schulter und Brustkorbseite befindet, zur Gymnastizierung in die rechte umzuverteilen und später im Gleichgewicht zu halten.

Dieser Vorgang beginnt im Sitzzentrum, geht dann durch das Bein nach unten zum seitlichen Brustkorb und zuletzt nach vorne in den Zügel für Schulter, Hals und Kopf.

Ein rechts hohles Pferd am linken Zügel und linken Schenkel ausbalancieren zu wollen wird nicht funktionieren, weil die Beweglichkeit im Schulter- und Rumpfbereich fehlt und nicht über den gemeinsamen Schwerpunkt gearbeitet wird.

Stellen wir unser Sitzzentrum wieder ins Zentrum unserer Hilfengebung und lassen Hand und Bein seine Mitspieler -oder Assistenten- sein, dann tun sich für uns und unsere Pferde neue Perspektiven auf und es kommen neue Harmonien zustande.

In diesem Sinne wünsche ich viel Spass beim Dirigieren!

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