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Das Sitzzentrum oder – „Wer ist hier der Dirigent?“ Teil 2

In Teil 1 ging es um grundlegende Aufgaben und die Bedeutung des Sitzzentrums. Verglichen habe ich es mit einer Informationszentrale, die empfängt und sendet, während Bein und Hand dabei assistieren.

Teil 2 soll nun folgende Fragen beantworten:

  1. Wo befindet sich das physische Sitzzentrum?

  2. Wie aktiviere ich das physische Sitzzentrum?

  3. Wo befindet sich das energetische Zentrum?

  4. Was kann das energetische Zentrum?

  5. Wie setze ich das energetische Zentrum ein?

1. Wo befindet sich das physische Sitzzentrum?

Das physische Sitzzentrum ist auch das Bewegungszentrum der Reiterin/des Reiters. Es besteht aus Becken, Lendenwirbelsäule, lliosakral- und Hüftgelenken. Diese Gelenke sind durch Bänder, Sehnen, Faszien und Muskeln miteinander vernetzt. Je geschmeidiger deren Zusammenspiel ist, umso geschmeidiger und leichter gelingt das Eingehen in die Bewegung des Pferdes!

Dies ist eine Grundvoraussetzung für Wohlbefinden, Losgelassenheit und Gehfreude unserer Pferde unter dem Sattel!

Natürlich nehmen auch Gelenke und Muskeln an der Peripherie des Sitzzentrums (Schultergelenke, Kniegelenke, Fussgelenke, Genick...) Einfluss auf die Geschmeidigkeit des Sitzes, doch zählen diese nicht zum eigentlichen Sitzzentrum.

Wie bei den Pferden ist auch bei uns Reiterinnen und Reitern

die Stärkung und Vernetzung unseres Bewegungszentrums von grosser Bedeutung. Yoga und Pilates oder individuell von einem Personal Coach ausgesuchte Übungen können dabei sehr hilfreich sein.

Ein zu lockeres, loses oder gar schlappes Bewegungszentrum

kommt mit dem Schub aus der Hinterhand und einem gut schwingenden Pferderücken nicht zurecht, und auch das Regulieren der Dynamik ist kaum möglich.

Mit einem überspannten oder steifen Bewegungszentrum

werden wir eher geworfen, bleiben „über“ dem Pferd und lösen bei ihm durch eine Art „Schutzreflex“ eine Versteifung der Rückenmuskulatur aus.

2. Wie aktiviere ich das physische Sitzzentrum?

Um ein Bewusstsein für die Aktivierung des physischen Sitzzentrums zu bekommen, bietet sich Husten, Räuspern, Lachen (Haha) oder Niesen (Hatschi) gut an. Dabei schiesst der Muskeltonus im Becken- und unteren Rumpfbereich- von 0 auf 10 und danach wieder auf 0.

Durch Üben und Experimentieren lernen wir, diesen Muskeltonus im Sattel gezielt und der Situation oder Absicht angemessen einzusetzen und zu variieren.

Den richtigen Grundtonus haben wir gefunden, wenn wir uns in jeder Gangart stabil, geschmeidig und wohlfühlen und mit der Bewegung unseres Pferdes verschmelzen und mitschwingen können.

Das energetische Zentrum

Über Energie zu schreiben ist ein etwas gewagtes Unterfangen, da die Wahrnehmung von Energie sehr individuell und subjektiv ist.

Manche Menschen glauben auch, nur das, was sie sehen, sei real. Doch wie sagt der kleine Prinz: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

Reiten wird für mich - und mein Pferd! - viel leichter, wenn ich mich auf seine Energie fokussiere und die Kontrolle über sie erlerne, anstatt mich um die Kontrolle seiner Masse zu bemühen. Denn die Materie folgt der Energie!

3. Wo befindet sich das energetische Sitzzentrum?

Es liegt in der Mitte des physischen Sitzzentrums, eingebettet im unteren Bauch und dem Becken und erfüllt von da aus den gesamten Körper mit Lebensenergie. Du kannst es dir als eine SONNE vorstellen, deren Strahlkraft du dir zu nutze machen kannst.

4. Was kann das energetische Sitzzentrum?

Das energetische Sitzzentrum reguliert den „Energiedurchfluss“ im Pferd und lenkt diesen in eine bestimmte Richtung.

Es kann sich versammeln,

z. B. um einen Übergang vorzubereiten (halbe Parade), um Schritte, Tritte und Sprünge zu verkürzen oder den Versammlungsgrad zu erhöhen.

Es kann sich entspannen,

z. B. um einen Übergang auszulösen, um Schritte, Tritte und Sprünge zu verlängern, um die Dehnungsbereitschaft zu überprüfen.

Es kann sich fokussieren,

z. B. um geradeaus zu reiten, abzuwenden und jede Art von Hufschlagfiguren durchzuführen.

5. Wie setze ich das energetische Zentrum ein?

Anleitung:

Habe ich mich im Sattel niedergelassen, Sitz und Haltung geordnet und mein physisches Sitzzentrum (durch Räuspern, Husten, Lachen oder „Hatschi“) aktiviert, richte ich meine Aufmerksamkeit bewusst auf das energetische Zentrum.

Will ich nun Tritte versammeln - versammle ich mein energetisches Zentrum.

Will ich Tritte verlängern - enspanne ich mein energetisches Zentrum

Will ich einen Richtungswechsel - fokussiere ich mein energetisches Zentrum dorthin

Zu Beginn werden Hände und Beine noch etwas mehr zum Einsatz kommen. Sie dienen dem energetischen Sitzzentrum als „Übersetzer“ oder „Verstärker“, bis wir - und unsere Pferde- uns in dieser Art des Reitens immer besser zurechtfinden.

Je mehr Fertigkeit wir im Einsatz des physischen und energetischen Sitzzentrums erlangen, umso mehr treten Bein und Hand wieder in den Hintergrund.

Würden wir das Versammeln, Entspannen und Fokussieren nur Beinen und Händen überlassen, wäre dies wie ein Schiff ohne Kapitän, ein Orchester ohne Dirigent.

Diese „Machtverschiebung“, weg von Bein und Hand hin zum Sitzzentrum, verändert das Reiten grundlegend. Es ist der Schritt über die Schwelle zwischen Arbeit und Spiel, Handwerk und Kunst, Schwere und Leichtigkeit, Konzept und Intuition.

So zu reiten ist lernbar!

Du brauchst Anfangs Geduld und die Bereitschaft, einiges an Ballast, den du dir vielleicht mühsam erworben hast, über Bord zu werfen. Aber dies wird nicht nur dich, sondern auch dein Pferd erleichtern!

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